von Kay » 03.10.2023, 18:15
Schock nach Wetzlar-Blamage: Der THW Kiel fliegt mit 31:32 aus dem Pokal
Rekord-Pokalsieger THW Kiel ist völlig unerwartet in der dritten Runde des DHB-Pokals ausgeschieden. Der zwölfmalige Champion unterlag am Dienstag in der Wunderino-Arena dem Vorletzten der Handball-Bundesliga HSG Wetzlar mit 31:32 (17:19). Die Spieler von THW-Cheftrainer Filip Jicha zeigten sich im Anschluss geschockt.
Kiel. Lähmendes Entsetzen, Schockstarre, ungläubige Blicke: Der THW Kiel ist am Dienstagnachmittag völlig überraschend aus dem DHB-Pokal ausgeschieden. Ausgerechnet die HSG Wetzlar, vor einem Monat noch desolater Spielball des deutschen Handballmeisters und Rekord-Pokalsiegers, stellte den Zebras beim 31:32 (17:19) ein Bein. „Ich bin sprachlos, ich bin für diese Niederlage sportlich verantwortlich und stehe dafür gerade“, sagte THW-Cheftrainer Filip Jicha nach 60 enttäuschenden Minuten. Der THW verpasst in diesem Wettbewerb damit zum ersten Mal seit 23 Jahren die Runde der letzten 16.
Fünf Jahre liegt das letzte Pokal-Heimspiel in der Kieler Wunderino-Arena zurück. Im November 2018 hatte der THW im Viertelfinale die MT Melsungen mit 31:19 aus der Halle gefegt. Ähnliches erlebte die HSG Wetzlar übrigens Anfang September beim 33:22 des deutschen Meisters in der Handball-Bundesliga. Zur Pause stand damals ein demütigendes 15:4 auf dem Videowürfel an der Hallendecke. Derzeit liegt die Mannschaft des neuen Trainers Frank Carstens auf Rang 17 des Bundesliga-Tableaus. Vorbei sind die Zeiten, als die Mittelhessen 2019, 2020, 2021 im steten Saison-Rhythmus zum Stachel im Fleisch kriselnder Kieler Zebras avancierten. Oder?
Der desolate Auftritt der HSG Wetzlar hat wenig Lust auf mehr gemacht
Der Wetzlarer Auftritt im September hat offenbar kaum Lust auf mehr erzeugt. Die Arena ist an diesem Tag der Deutschen Einheit 2023 mit 4389 Zuschauern nur mäßig gefüllt. Die können beobachten, wie die HSG ihre Bilanz der ersten Halbzeit vom September bereits nach knapp acht Minuten (7:5) übertroffen hat. Die Hessen spielen mutig, haben in Magnus Fredriksen und Filip Kuzmanovski gut eingestellte Spielmacher. Und sie drücken aufs Tempo. „Weil wir wussten, was Kiel zuletzt alles in den Schenkeln hatte“, wird HSG-Keeper Till Klimpke später sagen und den Matchplan erklären. Besonders ihre Außen Emil Mellegård (links) und Domen Novak (rechts) werden immer wieder gut in Szene gesetzt, sowohl auf dem Flügel als auch als Einläufer am Kreis. Sie bringen es nach 30 Minuten auf gemeinsame elf Treffer.
Ein Feiertags-Spaziergang wird das hier heute sicher nicht, und was bleibt im Kieler Spiel dieser Tage, ist, dass sich die Schützlinge von THW-Cheftrainer Filip Jicha trotz gut herausgespielter Wurfchancen zu selten belohnen. Beispiel Rune Dahmke: Nach nur einem Tor aus fünf Versuchen wird der Kieler Jung in der 20. Minute ausgewechselt. Klimkpe entscheidet das Torhüterduell in Halbzeit eins klar für sich. Zwölf Kieler Fahrkarten lassen den Rekord-Pokalsieger zwischenzeitlich sogar vom 10:10 (16.) auf 11:14 (21.) und nach dem 15:15 (25.) auf 17:19 zur Pause ins Hintertreffen geraten. Kein Handball-Nachmittag für Ästheten. Jicha ratlos: „Es ist für mich unverständlich, warum wir die Tore nicht machen.“
Nach der Pause soll es Duvnjak-Dynamit richten. Es bleibt ein Krimi. Einer, in dem der kroatische THW-Kapitän Domagoj Duvnjak seine Farben bis zum 20:21 (37.) mit einem schmerzvollen Eins-gegen-Eins-Treffer-Triple im Spiel hält. Einer, in dem der eingewechselte Samir Bellahcene im Kieler Tor zum schwergewichtigen Fels in der Wetzlarer Brandung avanciert. In dem der THW beim 22:22 (39.) zum ersten Mal wieder ausgleicht. In dem die HSG aber auch mutig, engagiert bleibt, den THW mit einem starken Innenblock (Hendrik Wagner/Rasmus Ejlersen) dazu zwingt, Schwerstarbeit leisten zu müssen. Leichte Tore? Fehlanzeige!
Am Ende geht Filip Jicha volles Risiko
Es liegt eine Pokalsensation in der Luft. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist eines dieser „damit hat niemand gerechnet“-Gefühle im Zebra-Wohnzimmer. Nicht die Kieler Spieler, nicht die Zuschauer, nicht all die Daheimgebliebenen. Wetzlar lässt sich nicht abschütteln, immer wieder trifft Lenny Rubin aus dem Rückraum, Kempa-Tor von Nemanja Zelenovic. 30:30 durch den starken Eric Johansson (56.). Der THW-Schwede knickt um, Karl Wallinius kommt für ihn ins Spiel, und Jicha geht volles Risiko, bringt den siebten Feldspieler.
Der Rest ist Pokal-Drama pur. Wallinius passt Ole Klimpke den Ball in die Hände, „empty goal“, 30:32. Duvnjak kontert (31:32/59.), der THW Kiel kommt noch einmal in Ballbesitz, doch Reinkinds letzter Tipp-Pass an den Kreis wird Patrick Wiencek niemals erreichen. „Ich stehe unter Schock.“ Domagoj Duvnjak findet nach dem Abpfiff kaum Worte. Und HSG-Trainer Frank Carstens kann sein Glück kaum fassen: „Ich komme seit 23 Jahren hierher und habe noch nie Glückwünsche empfangen. Ich bin überwältigt.“ Till Klimpke ergänzt: „Wir hatten keinen Bock, uns hier noch mal so zu blamieren wie im September.“
Achtelfinal-Auslosung am 9. Oktober
Dann machte sich der Feier-Bus der HSG auf den Weg zurück nach Mittelhessen. Bei der Auslosung des Achtelfinals am 9. Oktober wird die Kugel mit dem THW Kiel nicht mehr im Pott sein.
THW Kiel – HSG Wetzlar 31:32 (17:19)
THW Kiel: Mrkva (1.-20. und ab 58. Minute/4 Paraden), Bellahcene (20.-58./11) – Ehrig, Duvnjak 5, Reinkind 5, Landin 1, Øverby 1, Wiencek 3, Ekberg 5/1, Johansson 7, Dahmke 1, Gurbindo, Wallinius, Bilyk, Pekeler, Ellefsen á Skipagøtu 3.
HSG Wetzlar: T. Klimpke (1.-53. Minute/ 15/1 Paraden), Suljakovic (ab 53./3) – Weimer , Ejlersen, O. Klimpke 2, Kuzmanovski, Vranjes 3, Becher 4/2, Fredriksen, Wagner, Mellegård 4, Zelenovic 2, Rubin 8, Novak 9, Cavor.
Schiedsrichter: Fedtke/Wienrich (Berlin) – Strafminuten: THW 4 (Wiencek, Pekeler), HSG 12 (2x Ejlersen, Vranjes, Novak, 2x Wagner) – Siebenmeter: THW 2/1 (Ekberg scheitert an T. Klimpke), HSG 3/2 (Novak über das Tor) – Spielfilm: 0:1, 5:3 (6.), 7:4, 10:10 (16.), 11:14, 15:15 (25.), 17:19 – 20:21, 22:22 (41.), 26:27, 30:30 (56.), 30:32, 31:32 – Zuschauer: 4389 in der Wunderino-Arena. (KN)
Liebe SG, die Hauptsache am Wind: immer eine Handbreit Wasser über Kiel.