SZ-27. August 2020, 17:28 Uhr
Coronafall im Handball - Vorbote des Unheils
Ein positiver Coronatest im Team der MT Melsungen bringt die Nationalspieler Silvio Heinevetter und Finn Lemke in Quarantäne. Der Fall könnte weitreichende Folgen haben.
Von Carsten Scheele
Silvio Heinevetter liegt auf der Couch, oberkörperfrei und mit weit ausgestreckten Armen, umhüllt von einer dunklen Decke, auf der zwei Hunde sitzen, ein kleiner und ein etwas größerer. Der Gesichtsausdruck des Handball-Torwarts ist eher fragend, "Tag des Hundes" hat Heinevetter bei Instagram dazu geschrieben, was zwei Rückschlüsse zulässt: Erstens hindern die Hunde den Torwart der MT Melsungen offensichtig am Aufstehen. Zweitens gibt es für Heinevetter gar keinen Grund, das Sofa zu verlassen.
Dem bekannten Torwart wurde gerade eine Zwangspause verordnet, er ist damit mittendrin in der Debatte des deutschen Handballs, ob es wirklich gelingen kann, in Zeiten der Corona-Pandemie einen geordneten Spielbetrieb aufzunehmen. Ein Physiotherapeut der MT Melsungen wurde positiv getestet, bei der anschließenden Kontaktrückverfolgung wurden auch Spieler des Bundesligateams als "Kontaktpersonen Nummer 1" identifiziert, darunter Heinevetter, der langjährige Torwart der Füchse Berlin, der erst in diesem Sommer nach Melsungen gewechselt ist; außerdem Finn Lemke, ebenfalls Nationalspieler. Beide müssen auf Anweisung des Gesundheitsamtes Kassel 14 Tage in Quarantäne bleiben, womit die Probleme für den Klub so richtig losgehen.
Die HBL will weiter vor Zuschauern spielen - doch geht das?
Ein Testspiel gegen den TSV Hannover-Burgdorf wurde eilig abgesagt, schwerer wiegt, dass für Melsungen bereits das Qualifikationsspiel zur neuen European League angesetzt ist, beim dänischen Vertreter Silkeborg. Die European League ist jener Wettbewerb, in den die Melsunger nur gerutscht sind, weil Hannover coronabedingt auf die Teilnahme komplett verzichtet hat. Muss nun auch Melsungen zurückziehen? "Wir haben sehr schnell reagiert und gehen deshalb davon aus, das Ereignis sehr gut eingrenzen zu können", sagt Vorstand Axel Geerken. Die Entscheidung, ob das Team nach Silkeborg reisen darf, steht noch aus.
Der Fall Melsungen ist ein Vorbote auf das, was der Handball-Bundesliga (HBL) von Oktober an blüht, wenn im Dreitagesrhytmus wieder gespielt werden soll. Ein Infektionsfall im Umfeld kann ausreichen, um Mannschaften ganz oder teilweise aus dem Spielbetrieb zu nehmen - was augenblicklich den Wettbewerb verzerren würde. Auch bei strikter Einhaltungen der Hygienemaßnahmen gebe es "für niemanden eine absolute Garantie, vom Virus verschont zu bleiben", gibt Geerken zu. Die HBL hält dennoch an ihren Plänen fest: Am 26. September kommt es zum Spiel um den Supercup zwischen Meister THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt. Anfang Oktober startet dann die Bundesliga.
Schon jetzt kommt es zu erfindungsreichen Konstrukten. Das europäische Qualifikationsspiel zwischen Pfadi Winterthur aus der Schweiz und Luxemburgs Meister HB Esch wurde nach Kassel verlegt, weil Luxemburg für die Schweiz aktuell als Risikogebiet zählt. Ein Europacupspiel auf deutschem Boden ohne deutsche Beteiligung ist ein Novum; immerhin wurden zwei deutsche Schiedsrichter nominiert: Fabian Baumgart und Sascha Wild dürfen diese Partie leiten. (eot)
Auch die härtesten Optimisten werden die komplexe Situation wohl so langsam wirklich kritisch sehen müssen. Verharmlosen und Wunschdenken wird keinem nützen. Alles nachwievor ziemlich gefährlich, gesundheitlich und ökonomisch. Für Ältere und damit zur Risikogruppe zählend wäre ein Besuch einer auch nur teilweise besetzten Halle lebensgefährlich. Die Belastungen durch Aerosole, Husten, Schnupfen und Tröpfcheninfektionen werden im kommenden Herbst und Winter sicher nicht geringer!