Rauschende Ballnacht für den TVG
Finanziell in der Krise beweisen Großwallstadts Handballrecken auf dem Spielfeld Größe / SG kann auch dieses Jahr Unterfrankenhalle nicht stürmen und kassiert dritte Saisonniederlage
Manchmal kann man auch große Vorhaben ganz lapidar und einfach formulieren. So wie der Großwallstädter Trainer Peter Meisinger vor der Partie am Mittwoch gegen den Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt. Mit einem kurzen "Weiter so!" beschrieb er die Marschroute seiner Mannschaft im Vorwort der Großwallstädter Hallenzeitschrift.
Dabei wußten beide Mannschaften, die sich seit vergangenem Wochenende ja auch Europapokal-Halbfinalisten nennen können, trotz der guten Spiele in den letzten Wochen um die Schwere der Aufgabe.
So mußte Gäste-Trainer Erik Veje Rasmussen in seinem Aufgebot auf Torwart Sören Haagen sowie Matthias Hahn und Jan Eiberg Jörgensen verzichten. Damit steht neben dem hohen Kräfteverschleiß der verbleibenden Spieler mit Nachwuchstalent Maik Makowka nur noch ein Linkshänder für den Rückraum zur Verfügung.
Doch auch für den von großen Existenzsorgen geplagten TV Großwallstadt sieht die Situation nur wenig besser aus. Auch hier fällt mit Nationalspieler und SG-Neuzugang Jörg Kunze ein Spieler wochenlang aus. Mit Bernd Roos ist ein zweiter Linkshänder nur sehr bedingt einsetzbar. Nachdem aufgrund der hohen Belastung die Verletzung des TVG-Urgesteins wieder aufgebrochen ist, konnte der 33-jährige einmal mehr nur bei Siebenmetern eingesetzt werden. Darüber hinaus gingen mit Tonci Valcic, Otto Fetser und Uli Wolf - der sich beim Aufwärmen am Fuß verletzte - weitere Akteure angeschlagen ins Spiel.
Magnus Wislander, genialer schwedischer Spielmacher des THW Kiel, hatte vor zwei Wochen die Partie seiner Mannschaft gegen die Unterfranken mit "Not gegen Elend" betitelt, eine Klassifizierung, die auch auf dieses Spiel, wenngleich auch mit einem etwas anderen Sinngehalt, zu passen schien.
Die erste Enttäuschung mußten die Großwallstädter Verantwortlichen eigentlich schon vor dem Anpfiff der beiden Unparteiischen Wolfgang Heinz und Günter Hock aus Waiblingen hinnehmen. Gerade einmal 2700 Zuschauer waren es, die sich im weiten Rund der Aschaffenburger Unterfrankenhalle verliefen. Angesichts der derzeitigen prekären Situation und der aufgeworfenen Grundfrage "Wollen wir Spitzensport am bayerischen Untermain?" sowie der Tatsache, daß der seit 15 Spielen ungeschlagene Tabellenführer nach Bayern kam, eigentlich eine enttäuschende Kulisse.
Dennoch sollte es dem dezimierten Personal der Gastgeber binnen kürzester Zeit gelingen, auf den Tribünen vergessen zu machen, daß 1500 Zuschauer mehr Platz in der Halle gefunden hätten. Wie in seinen besten Tagen startete der TVG, stand sicher und bissig in der Abwehr und nutzte seine Chancen im Angriff konzentriert und souverän. Jan Holpert, davor seit Wochen in überragender Form, bekam zumeist seine Hände erst dann an den Ball, wenn dieser bereits im Netz zappelte. So führten die Mainfranken, die viel über den Rückraum und den Kreis versuchten, überraschend schnell mit 5:0. Zu allem Unglück der Flensburger hatte auch noch Großwallstadts Nationaltorhüter Christian Ramota seinen Kasten schier vernagelt, hielt in den ersten sechs Minuten zwei Strafwürfe und ließ erst nach über acht Minuten den ersten Treffer der Gäste durch den Norweger Christian Berge zu.
Doch der Traditionsklub legte durch die bis dato schon jeweils dreimal erfolgreichen Siemens und Wolf noch zwei Treffer zu und führte zur Begeisterung der Zuschauer und zur Verwunderung des Handballkenners völlig überraschend mit 7:1. Grund genug für Flensburgs Übungsleiter Erik Veje Rasmussen erst einmal die grüne Karte zu zücken und zu versuchen, seine Spieler besser auf das in den ersten Minuten extrem starke Spiel des Gastgebers einzustellen.
Jetzt zeigte allerdings auch der Tabellenführer eine gute Moral und versuchte sich an das vom TVG vorgelegte Resultat heranzuarbeiten. Die Fehlwürfe im Sturm wurden jetzt etwas weniger und nach dem ersten gehalten Strafwurf gegen Bernd Roos nach fast 20 Minuten wachte auch SG-Schlußmann Jan Holpert etwas aus seiner Lethargie auf. Die SG kam über 3:7 und 5:8 auf 8:10 heran, mußte sich aber zur Pause mit einem 12:9-Rückstand begnügen. Dennoch, in dieser Partei war bei weitem noch keine Entscheidung gefallen, die stärkere Bank sprach trotz allem Verletzungspech für Flensburg.
Auffällig in der ersten Halbzeit, daß über die Außenpoitionen nahezu gar kein Spiel stattfand. Keiner der vier nominellen Flügelspieler kam auch nur zu einem einzigen Treffer. Das Plus des TV Großwallstadt war neben dem besseren Torhüter insbesondere der Umstand, den Kreisläufer besser einsetzen zu können. So hatte Uli Wolf bereits nach 30 Minuten vier Torerfolge auf seinem Konto.
Gleichwohl, Flensburger Hoffnungen für die zweiten 30 Minuten wären durchaus begründet. Zumal Jan Holpert, der in den ersten zwanzig Minuten genau zwei Bälle aus dem Spielgeschehen heraus parieren konnte, in der Folgezeit doppelt so häufig Triumphator blieb. Ein weiterer Vorteil, die SG hatte Anwurf, konnte somit zum dritten Mal in der Partie auf zwei Tore verkürzen.
Doch Halbzeit Nummer zwei begann völlig anders als sich das die Rot-Schwarz-Weißen gewünscht hätten: Der TVG war wieder am Drücker zog beim 13:9 und 14:10 wieder auf vier Tore weg. Jetzt begann durch letzteren Treffer auch die Zeit der Außenspieler, die durch Alexander Mierzwa eingeläutet wurde. Zu 16 Toren (inklusive Siebenmetern), der 25 in der zweiten Halbzeit erzielten Treffern, sollten es die Flügelflitzer im zweiten Durchgang noch bringen.
Eben jene Außenspieler waren folglich auch hauptsächlich dafür verantwortlich, daß die SG durch zwei Treffer von Christian Hjermind und fünf seines Antipoden Lars Christiansen nach 46 Minuten beim 17:17 erstmals seit dem 0:0 wieder einen Gleichstand herstellen konnte. Das Spiel drohte aus Großwallstädter Sicht zu kippen, die SG ihrer Favoritenstellung gerecht zu werden. Zumal der dänische Nationalspieler mit seinem vierten verwandelten Siebenmeter Flensburg sieben Minuten vor Ende der Partie erstmals in Führung bringen konnte.
In den letzten Minuten sollte es dann vor allem zu einem Spiel der Nerven kommen. Triumphator dabei, zur Überraschung aller, der Großwallstädter Rechtsaußen Otto Fetser. Der TVG, der in den letzten Minuten einmal mehr in hohem Maße von einer konzentrierten Abwehrarbeit profitierte, verdankte dem angeschlagenen Flügelflitzer die beiden wichtigen Tore zur 23:20- und 24:21-Führung.
Letztendlich eine Niederlage, die für die SG Flensburg-Handewitt zwar ärgerlich ist, das Team der Norddeutschen aber auch nicht zu lange grämen sollte. Es war einfach ein zu essentielles Spiel für den TV Großwallstadt, und die Mannschaft hat einmal mehr in dieser Saison bewiesen, daß sie wahrlich über Charakter verfügt. Zudem hat sich die SG über weite Strecken des Spiels teuer verkauft und konnte von den bisherigen Spitzenmannschaften Wallau-Massenheim, Kiel, Magdeburg und eben Flensburg am meisten überzeugen. Wären die letzten Wochen, garniert durch großes Verletzungspech und die Reise nach Ungarn, weniger anstrengend gewesen, hätte auch mehr möglich sein können. Gleiches gilt allerdings auch für die Gastgeber.
TV Großwallstadt - SG Flensburg-Handewitt 24:22 (12:9)
TV Großwallstadt: Ramota, Beck (eingesetzt bei einem Siebenmeter in der 39. und dem folgenden Angriff der SG nach einem Lattentreffer sowie bei einem Strafwurf in der 46. Spielminute); Boldsen (3/1), Fetser (2), Mierzwa (1), Roos (5/5), Valcic (2), Decsi (1), Siemens (5), Grimm, Wolf (5). Starting Seven: Ramota; Mierzwa, Valcic, Boldsen, Siemens, Fetser, Wolf. - Trainer: Meisinger.
SG Flensburg-Handewitt: Holpert, Dierks (n.e.); Fegter, Makowka (2), Hjermind (2), Christiansen (7/5), Klimovets (2), Knorr (2/2), Jeppesen, Lavrov (5), Berge (2), Schröder. Starting Seven: Holpert; Christiansen, Fegter, Berge, Jeppesen, Hjermind, Klimovets. - Trainer: Rasmussen.
Siebenmeter: TVG 8/6 (Roos scheitert nach 19 und 24 Minuten an Holpert) - SG 10/7 (Christiansen und Berge scheitern in der 4. und 6. Minute an Ramota, Knorr trifft in der 39. nur das Holz). Zeitstrafen: TVG 5 (Boldsen nach 20 und 42 Minuten, Valcic in den Minuten 8 und 59 sowie Mierzwa fünf Minuten nach der Halbzeit) - SG 3 (Knorr nach zwanzig Minuten, Fegter und Lavrov nach 54 bzw. 56). Auszeiten: TVG 1 + 0 (beim Spielstand von 10:8 nach 25:19 Minuten) - SG 1 + 1 (beim 7:1 nach genau elf Minuten und beim Zwischenresultat von 21:20 nach gespielten 55:34 Minuten). Schiedsrichter: Heinz / Hock (Waiblingen). Zuschauer: 2700 in Aschaffenburg. Beste Spieler: Ramota, Wolf, Siemens, Boldsen - Lavrov.
Spielfilm: 1:0 Wolf, 2:0 Siemens, 3:0 Boldsen, 4:0 Wolf, 5:0 Siemens, 5:1 Berge, 6:1 Siemens, 7:1 Wolf, 7:2 Berge, 7:3 Makowka, 8:3 Decsi, 8:4 Knorr (Siebenmeter), 8:5 Knorr (Siebenmeter), 9:5 Roos (Siebenmeter), 9:6 Lavrov, 10:6 Wolf, 10:7 Makowka, 10:8 Lavrov, 11:8 Boldsen (Siebenmeter), 11:9 Klimovets, 12:9 Valcic (Halbzeit) - 13:9 Siemens, 13:10 Christiansen, 14:10 Mierzwa, 15:10 Valcic, 15:11 Lavrov, 15:12 Hjermind, 16:12 Wolf, 16:13 Christiansen (Siebenmeter), 16:14 Hjermind, 17:14 Roos (Siebenmeter), 17:15 Christiansen (Siebenmeter), 17:16 Christiansen (Siebenmeter), 17:17 Christiansen, 18:17 Siemens, 19:17 Roos (Siebenmeter), 19:18 Klimovets, 19:19 Lavrov, 19:20 Christiansen (Siebenmeter), 20:20 Roos (Siebenmeter), 21:20 Boldsen, 22:20 Roos (Siebenmeter), 23:20 Fetser, 23:21 Lavrov, 24:21 Fetser, 24:22 Christiansen (Siebenmeter; Endstand).
[Dieser Beitrag wurde von Andi am 11.03.2001 editiert.]