SG FLENSBURG-HANDEWITT UND THW KIEL
SG-Chef fordert: Handball-Spieler müssen auf Gehälter verzichten
Boy Meesenburg rechnet mit Insolvenzen von Proficlubs: „Es geht um das Überleben der SG. Es geht um die Zukunft des Profihandballs überhaupt.“ von Jan Wrege 23. März 2020, 11:14 Uhr
Flensburg | Wie ernst die Lage ist, wird daran deutlich, dass Boy Meesenburg die eingefrorene Tabelle der Handball-Bundesliga mit Gleichmut betrachtet. Die SG Flensburg-Handewitt liegt um vier Minuspunkte schlechter als der THW Kiel. Das hätte den Chef des deutschen Meisters in Zeiten vor der Coronakrise in Wallung gebracht. Jetzt treibt Meesenburg eine viel größere Sorge um: „Es geht um das Überleben der SG. Es geht um die Zukunft des Profihandballs überhaupt.“
Boy Meesenburg
Der Flensburger Unternehmer, der den Beirat des SG führt, hat sich am Freitagabend über die Meldung geärgert, dass sich die Spielergewerkschaft „Goal“ und die Ligaorganisation HBL über einen Gehaltsverzicht verständigt hätten. Von „Lösungen, die für beide Seiten verträglich sind“, sprach Goal-Vorstand Johannes Bitter, Torhüter des TVB Stuttgart. Der Sportinformationsdienst sid spekulierte über mögliche Kürzungen um 25 Prozent. Goal-Chef und Ex-Profi Markus Rominger hoffe überdies auf Hilfe vom Staat.
Meesenburg ist über diese Entwicklungen „sehr irritiert“, wie er sagt. Er sei fassungslos, wie naiv hier eine vermeintliche Lösung präsentiert worden sei. „Unser gesamtes Business ist auf Null gesetzt. Jeder Handball-Profi hat quasi seine Geschäftsgrundlage verloren“, sagt der Flensburger, der die Hoffnung, dass ab 23. April – bis dahin gilt zunächst die Unterbrechung der Saison – alles so weitergeht wie vorher, nicht für realistisch hält.
Die Spielzeit 19/20 hat Meesenburg abgehakt: „Ich gehe davon aus, dass die Saison nicht mehr fortgesetzt wird. Einige Virologen sagen ja bereits, dass in diesem Jahr überhaupt keine großen Publikumsveranstaltungen mehr stattfinden können.“ Die Austragung der Olympischen Spiele in diesem Sommer hält Meesenburg für „völlig unvorstellbar“.
Da ist sich der Flensburger einig mit seinem Kollegen Dr. Marc Weinstock vom THW Kiel. Beide sind in fast täglicher enger Abstimmung, auch das ein Ausdruck einer nie dagewesenen Situation. „Der Höhepunkt der Coronakrise soll in vier Wochen sein. Da werden die meisten Patienten in den Krankenhäusern erwartet, und das wird auch noch einige Zeit dauern. Ich glaube nicht, dass man da im Mai wieder Handball spielen wird oder dass im Juni ein Final4-Turnier stattfinden kann“, meint der Aufsichtsratsvorsitzende des THW Kiel. Es sei Zeit für eine klare Sicht auf die Dinge, sagt Weinstock.
Die HBL robbt sich aus Sicht von Boy Meesenburg nur langsam an die Realität heran. Lösungen, die für alle Vereine passen, könne es aufgrund unterschiedlichster Voraussetzungen gar nicht geben. „Jeder Verein für sich muss die Frage beantworten: Wie kriegen wir es hin?“, sagt Meesenburg, der fürchtet, dass nicht jeder Verein eine Antwort finden wird. Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass ein Drittel der Proficlubs die Krise wirtschaftlich nicht überleben wird.
Selbst ein wirtschaftlich gesunder Verein wie der deutsche Meister sei gefährdet. „Sponsoren könnten anteilig Geld zurückverlangen, Fernseheinnahmen fallen aus“, nennt Boy Meesenburg nur die größten Probleme der „ersten Krisenphase“ bis zum 30. Juni. Dagegen hofft er auf die Solidarität der SG-Fans und deren Verzicht auf Teilerstattungen für Saisontickets: „In dieser Richtung gibt es schon viele positive Signale.“
Danach müsse man sich mit der nächsten Saison befassen. Eigentlich sollte in diesen Tagen der Dauerkartenverkauf für die Serie 20/21 starten. „Das hat die Geschäftsführung gestoppt. Wir könnten es als seriöse Kaufleute in dieser Situation nicht verantworten. Weder wissen wir, wann die neue Saison beginnt, noch, wer in der Bundesliga überhaupt dabei sein wird“, sagt Meesenburg.
"Die einzigen Reserven liegen bei den Spielern." Der SG-Chef betonte, dass die Profihandball-Vereine keine Reserven haben. Sie arbeiten schließlich nicht gewinnorientiert und erzielen daher keine Überschüsse, aus denen Rücklagen gebildet werden könnten. „Alle Etats stehen Spitz auf Knopf. Die einzigen Reserven liegen bei den Spielern“, so Meesenburg. Gleiches trifft auf den THW zu. Auch da liegen keine Millionen auf den Festgeldkonto: „Ich bin Marc Weinstock, nicht Uli Hoeneß“, sagt der Kieler.
In den vergangenen Jahren seien die Spielergehälter extrem gestiegen. „Jeder muss erkennen, dass es jetzt in die andere Richtung geht. Wie Millionen andere Menschen müssen sich die Handball-Profis auf harte Einschnitte einstellen“, sagt Meesenburg. Er rechnet damit, dass die SG ihren Etat für die neue Spielzeit möglicherweise um 30 bis 35 Prozent reduzieren muss. Zudem müssen auch die Verträge mit den Neuzugängen, die erst ab 1. Juli laufen, nachverhandelt werden.
Auch beim THW Kiel wird es Kürzungen geben. In welchem Umfang, ist noch offen. „Die SG ist uns momentan noch drei Tage voraus“, sagt Weinstock, der sich Montagabend im Kontrollgremium mit seinen Kollegen beraten wird. Zum Thema Rückerstattungen für Tickets sagte der Aufsichtsratschef des THW, man freue sich über jeden, der darauf verzichtet, aber: „Für jeden, der eine Erstattung verlangt, habe ich Verständnis. Da muss sich niemand erklären.“
Staatliche Hilfen als Lösung? Auf staatliche Unterstützung setzt Boy Meesenburg nur sehr begrenzt. „Kurzarbeit kann uns in der Geschäftsstelle helfen. Aber das ist kein Instrument für Spitzengehälter. Es sind nicht die Zeiten, in denen man mit Steuergeldern das Einkommen von Spitzenverdienern absichert“
meint der SG-Chef. Kurzfristig werden bei der SG für die nächsten drei Monate Gehaltskürzungen um bis zu 50 Prozent nötig werden, erwartet Meesenburg. „Aber selbst das kann ein Topverdiener eher aushalten als ein Busfahrer, der auf Kurzarbeit gesetzt wird.“
Er rechnet mit sehr komplizierten Verhandlungen, weil in der Regel auch die Spielerberater involviert sind, und verspricht völlige Transparenz bis hin zum Einblick in die Bücher: „Wir haben nichts zu verbergen. Die Profis müssen diese Delle im Einkommen hinnehmen, um ihrem Sport eine Zukunft zu sichern“, fordert Meesenburg. Letztlich gehe es nicht um den einzelnen Spieler, sondern um die SG und darum, dass die Flens-Arena nicht verwaist. – Quelle:
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Meesenburg hat Recht. Was Bitter und Rominger da mit der HBL verhandelt haben ist vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation geradezu niedlich. Die greifen nicht zuständig mal eben den Klubs ins Lenkrad. Viele Klubs haben Haushalte auf Kante genäht, wenn zehn Klubs übrig bleiben ist das viel. Die SG ist breit aufgestellt, es wird hoffentlich eine vernünftige Lösung geben. Die Spieler müssen realistisch betrachtet gemeinschaftlich mitziehen, das kann verlangt werden.